Interview mit Tobias Jensen 

Foto von Simone Sandahl






Interview


Was hat dich dazu inspiriert Musik zu machen?

 

Angefangen hat’s so ganz klassisch in der Grundschule. Es hatte sich eine Schülerband formiert, die noch auf der Suche nach einem Sänger war. Da mir schon einmal eine rolle in einem Theater zugeteilt wurde, wo ich singen durfte (und mir das ziemlich gut gefiel) lud ich mich dann selbst als Sänger in die Band ein. Von dort an gab es kein Halt mehr.


Welches Lied erinnert dich an deine Kindheit?

 

Wir hatten oft so einen holländischen Radiosender bei uns zu Hause an. da lief oft Phil Collins, was mir sehr gefiel. Irgendwie erinnerte mich seine Stimme an meinen Onkel. Das tut sie noch heute aber auch an die Zeit zu Hause in Uetliburg, einem kleinen Weiler in der Nordostschweiz.


Welches war das erste Lied, das dich zum Weinen gebracht hat?

 

 

Remember (aus König der Löwen) von Hans Zimmer.

 

Die Szene ist so traurig und die Musik schmerzt so schön...


Was ist deine schönste Kindheitserinnerung?

 

 

Es gibt so viele schöne Erinnerungen aber was ich wirklich unglaublich lustig fand, ist wenn mein Vater mir die Zähne geputzt hat und “aus Versehen” mit der Zahnbürste über das ganze Gesicht geputzt hat 😁

 

Welches Gefühl oder welche Botschaft möchtest du deinen Fans mit deiner Musik mitgeben?

Ein Aspekt ist sicher, dass man sich für gar nichts schämen soll: offen über Gefühle oder psychische Probleme sprechen zu können, frei denken, Tabus brechen, althergebrachtes kritisch hinterfragen, um als Mensch und als Gesellschaft weiter zu kommen.


Ich würde mir wünschen, dass wir zu einer Gesellschaft der gegenseitigen Akzeptanz werden können.

 

Was ist zurzeit dein Lieblingslied?

ein paar meiner all time heroes:

only - ry x

warm shadow - fink

end of the affair - ben howard


ein paar meiner guten Freunde aus der schweizer Musikszene:


teil vo dir - andryy

angst - to athena

slowly fading - native


schweizerdeutsche
 Songs:


fotograf - fai baba

rägebogesiedlig - stahlberger

floss us abfallholz - poly augustine


Welches Album hast du letztes Jahr am meisten gehört?

Das war zwangsläufig mein eigenes. Wenn ich voll im Prozess drin bin, dann muss ich die Songs in allen Stadien rauf und runter hören und daran schrauben bis einfach alles stimmt, aber abgesehen davon war’s gemäß Spotify Wrapped “Seeds In Sand” von Elder Island.


Was ist der schönste Songtext, den du je gehört hast?

Fourth of July von Sufjan Stevens erwischt mich jedes Mal.


Mit welchem Künstler würdest du gerne mal einen Song veröffentlichen?

Ich hätte im moment grad mega Lust mit meinem guten Freund Poly Augustine.


Was hat dich dazu inspiriert deine ep "Night Shift EP" zu nennen?

 


Das waren definitiv die Nachtschichten, die nötig waren um die EP so hinzukriegen wie ich mir das vorgestellt habe.

 

 


Angefangen damit die vielen Nachtschichten als Backliner und Live-Musiker um das nötige Kleingeld für die Produktionskosten zu verdienen (es waren einige) aber auch die Nächte, an denen ich an den Songs geschrieben hatte und nicht zuletzt die langen Nächte im Studio, an denen ich mit meinem guten Freund und Produzenten Lars an den Songs geschraubt habe. Als ich das album fertig gestellt hatte schaute ich gerade Peaky Blinders und eine Episode heißt “Night Shift” - da hab ich den Titel kurzerhand gestohlen und für meinen Ep-Titel entwendet.

 


Foto von Simone Sandahl



Beschreibe dich in einem Wort.

 

einfühlsam.


 

Welches Lied auf der EP "Night Shift" war am schwierigsten zu schreiben?

Battles, Battles war zwar schnell geschrieben aber es war schwierig für mich, den Song zu veröffentlichen. weil der Song für mich doch sehr intim und schmerzhaft ist, war es so ein unangenehmes Gefühl, das auch gerade Leute, die mir nahe stehen das Lied hören werden.  Eine sehr besondere Erfahrung.


Erzähl uns etwas über die Geschichte des "Young Love" Musikvideos.

Wir wollten den Leuten in der Schweiz eine etwas andere Landschaft zeigen als gewohnt und sind zu diesem Zweck zu meiner Mutter nach Dänemark gefahren. Hier trafen wir den Schauspieler Martin Krause, der sich kurzerhand auf unser Abenteuer einließ und mit uns bis an die Nordwestküste Dänemarks gefahren ist um dort mit uns die Szenen im Video abzudrehen. Es waren zwei unglaublich lehrreiche, lange und harte Tage. Wir sind in wenigen Tagen über 2’000 km gefahren und haben vom ersten bis zum letzten Sonnenschein gedreht um versucht, trotz kleinem Video-Budget das bestmögliche Video zu realisieren.


Wie gehst du vor, wenn du eine neue Idee für ein Lied hast?

Meistens ist es ein Gitarrenpart oder eine Beat-Struktur, die den Funken entfacht und eine Schwadrone von Handy-aufnahmen auslöst. Im besten Fall sprühen die Ideen nur so, bis dann genug Stoff da ist für ein ganzes Arrangement. texten tu' ich meistens dann erst in einem zweiten Schritt, wenn schon Musik da ist. 


Ich glaube dran, dass man die Ideen sofort einfangen muss, wenn sie da sind. 


Das kann dann auch mal bedeuten, mitten in der Nacht oder früh morgens ein paar Aufnahmen zu machen. Nebst den Handy- und Laptop- Demo-Aufnahmen habe ich deswegen auch immer laufende Ideen- und Textskizzen. Einerseits für spezifische songs aber auch allgemeine Ideen, die ich ausprobieren möchte. beim Texten mach ich mir das Leben nicht gerade einfach, denn gerade wenn die Songskizze gut ist, ist der Druck größer, da man die schon vorhandene, gute Idee nicht verwässern möchte. Es gelingt halt auch manchmal besser, manchmal weniger, aber man braucht ja auch nur das zu teilen, womit man in dem jeweiligen Moment zufrieden ist. Wie eine Fotografie eigentlich.


In welchem Land würdest du am liebsten auf Tour gehen?

Also als nächstes würden sicher Deutschland und die skandinavischen Länder auf der Wunschliste stehen :-)


Erzähl uns ein wenig über die Hintergrundgeschichte eines deiner Lieder.

Auf ein Lied vertieft einzugehen wäre mir fast etwas zu persönlich oder teils zu schmerzhaft. Aber was ich verraten möchte ist, dass für mich jeder Song um ein gewisses Thema gehen muss, so wie eine Art Blueprint. Ich habe zu einigen meiner bisher veröffentlichten Songs deshalb kurz notiert, worum’s mir im Kern geht.


Battles, Battles: der Gedanke hierzu war die Aufarbeitung von traumata aus der Kindheit und Jugend und die Frage, ob sich diese Leidensgeschichte fortan immer und immer wiederholen muss oder ob man diesen Teufelskreis vielleicht irgendwie durchbrechen und die Dämonen verbannen kann.

 


Songbird: Hier geht’s ganz um genau den moment wo zwei Menschen einander näher kommen und alles noch völlig offen ist und noch niemand so genau weiss ob es weitergehen wird, oder ob morgen alles schon wieder verflogen ist. 

 

 

Into The Water: bei dem Lied geht’s eigentlich um den Tod, ich war aber bemüht den Tod weder furchterregend, noch verherrlichend darzustellen sondern als etwas Natürliches, wovor man sich nicht zu fürchten braucht. Ich habe deshalb mit dem Element Wasser gearbeitet, aus dem wir alle entstanden sind und das uns während den ersten Monaten unseres Lebens umgeben hat.

 

Was würdest du jetzt beruflich machen, wenn du kein Musiker geworden wärst?

 

Ich hätte entweder Psychologie, Jura oder Zahnmedizin studiert. Glück gehabt!

 

Wie gehst du mit Negativität um?

Ich versuch’s immer perspektivisch einzuordnen und das Beste aus der Situation zu machen. 


Es gibt das dänische Sprichwort:

“Nichts ist so schlecht, dass es nicht auch für irgendwas gut ist"


Foto von Pascal Küng


Basieren deine Songs auf eigene Erfahrungen oder eher auf fiktiven Situationen?

Beides. es gibt zutiefst persönliche Songs, die etwas unangenehm sind zu veröffentlichen. aber auch welche, wo ich eher die Rolle des Beobachters einnehme und dann gibt’s solche, wo ich erst gedacht habe dass sie über mich selbst sind und ich dann gemerkt habe, dass sie eigentlich von jemand anderem handeln. also eigentlich genau das Gegenteil von dem, was beispielsweise Paul Simon beim song  “the boxer” eingestehen musste. Der war eben persönlich.


Beschreibe das Gefühl auf der Bühne zu stehen und live aufzutreten.

 

Es ist ja eine Sache, seine Songs auf der Bühne zu performen und teilweise auch sein Herz auszuschütten, aber wenn die Leute dann auch noch die Songs mitsingen ist das so eine besondere Ehre. Ich bin so zutiefst dankbar.

 

Was ist der beste Ratschlag, den du als Musiker je erhalten hast?

"Du bist viel größer als du weißt" - danke Rainer Kuhn.

Und das größte Kompliment:

 

“you don’t need me” - Corey Sanders (songwriter Calum Scott, Kodaline uvm.)

 

Du bist auch Mitglied der band Karavann. 

Was ist deine schönste Erinnerung daran, ein teil dieser Band zu sein?

 

Fabian (der andere “Gründervater" der band) und ich sind im gleichen kleinen Dorf aufgewachsen und kennen uns schon mehr als die hälfte unseres Lebens und machen ebenso lange zusammen Musik. Wir haben uns während der Jugend all die dinge geschworen, gemeinsam auf der Bühne des Hallenstadions zu stehen und vieles mehr. Zugegebenermassen nicht ganz alle dieser versprechen, aber doch immerhin einige davon, konnten wir im laufe der Jahre verwirklichen. Wir haben auf echt großen Bühnen gespielt, unser erstes gemeinsames Radio-Airplay gefeiert, die erste CD veröffentlicht und vieles mehr. Solch eine Verbindung und Erfahrungen sind durch nichts zu ersetzen.

 

Erzähl uns kurz etwas über die Musik, an der du gerade arbeitest.

Zurzeit schreibe ich an meinem ersten Solo-album. Allzu viel will ich noch nicht vorweg nehmen aber es dauert aber gar nicht mehr allzu lange, bis es was zu hören gibt. Ich bin echt gespannt wohin die Reise geht und freue mich so auf hoffentlich neue Gesichter, neue Konzert-Erlebnisse und neue Geschichten, die uns kein Mensch je glauben wird.


Danke für das interview, Tobias!

01.06.2022


Night Shift

Die EP Night Shift spiegelt nicht nur sehr reale und starke Emotionen wider, sondern besitzt gleichzeitig die Kraft eine geborgene und tröstende Wärme auszustrahlen. 

Es ist eine sehr ehrliche und bis ins ins tiefste Detail ausgearbeitete Komposition. 

Jeder, der mit ihr in Berührung kommt, wird auf eine sehr natürliche, vertraute und schöne Art und Weise wie eine Welle bewegt.


 

 Foto von Pascal Küng